Interview-Serie “5 Fragen an…”
Simon Lovermann, Diana Poole und das Team von Der Greif Studio zeigen, wie Kunst die Wahrnehmung von Hotelräumen nachhaltig verändern kann. Dabei geht es nicht nur um Dekoration, sondern um die emotionale und kulturelle Tiefe, die Fotografie als narratives Medium erzeugt. Mit einer internationalen Community junger Künstlerinnen und Künstler entwickeln Der Greif Studio Konzepte, die Räume lebendig machen und Markenidentitäten stärken. Im Interview gibt Simon Lovermann Einblicke in die Arbeitsweise und erläutert, warum Kunst mehr sein kann als bloßer Wandschmuck. Eine spannende Perspektive für alle, die Hotels mit kulturellem Mehrwert und einzigartigen Erlebnissen gestalten wollen.
Simon Lovermann, Gründer von Der Greif Studio
Brandcraft: Sind Hotels sind die neuen Galerien? Was braucht es Deiner Meinung nach, damit ein Hotel heute mit Kunst nicht nur dekoriert?
Simon Lovermann: Hotels können tatsächlich zu neuen Galerien werden – wenn sie Kunst nicht als bloße Dekoration, sondern als inhaltliche Erweiterung des Erlebnisversprechens verstehen. In unserer Arbeit zeigt sich immer wieder, wie stark Bilder die Wahrnehmung eines Raumes beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um Ästhetik, sondern um Atmosphäre, Kontext und Identifikation. Die Auswahl der Kunstwerke – ebenso wie die Geschichten hinter den Arbeiten und den beteiligten Kunstschaffenden – bietet großes Potenzial, den Aufenthalt emotional zu vertiefen, unabhängig davon, ob die Reisenden privat oder beruflich unterwegs sind. Entscheidend ist, dass Kunst nicht beliebig eingesetzt wird. Um Austauschbarkeit zu vermeiden, lohnt es sich, frühzeitig Fachleute einzubeziehen, die sowohl die künstlerische Qualität als auch die kuratorische Passung im Blick haben. Gerade in der Planungsphase eines Hotels wird Kunst häufig zu spät oder nur oberflächlich berücksichtigt – dabei liegt gerade in einer integrierten künstlerischen Haltung die Chance, das Haus zu einem Ort mit Charakter und Tiefe zu machen. Die Kraft von Bildern wird oft unterschätzt: Sie können Erinnerungen prägen, Gespräche anstoßen und eine emotionale Bindung schaffen. Wer diese Wirkung gezielt einsetzt, schafft ein Erlebnis, das bleibt – und im besten Fall von den Besuchenden selbst weitererzählt und visuell geteilt wird. So wird Kunst zum Ausdruck der Markenidentität – und das Hotel zu einem kulturellen Ort mit Strahlkraft.
Brandcraft: Wie verändert Kunst die Wahrnehmung eines Luxushotels – sowohl für Gäste als auch für Mitarbeitende?
Simon Lovermann: Kunst verändert nicht nur Räume, sondern auch deren Wahrnehmung – und das spüren sowohl Hotelgäste als auch das Team. Fotografie als zugängliches künstlerisches Medium hat das Potenzial, ohne Vorwissen zu berühren, positiv zu irritieren oder zum Nachdenken anzuregen. Richtig eingesetzt – also im Zusammenspiel mit Raum, Licht, Materialien und Atmosphäre – entsteht ein visuelles Narrativ, das über reine Dekoration hinausgeht. Auch ohne kunsthistorische Kenntnisse lässt sich oft erkennen, wann ein Werk mehr ist als bloßer Wandschmuck. Diese Wirkung ist inzwischen auch wissenschaftlich belegt: Studien wie das „Hospitality Art Experience Model“ zeigen, dass Kunst emotionale Reaktionen wie Staunen, Freude oder Nachdenklichkeit auslösen kann. Solche Eindrücke stärken die Verbindung zum Ort und fördern die Wiedererkennung. Gleichzeitig wirkt Kunst auch nach innen – auf die Atmosphäre im Team. Ein Arbeitsumfeld, das von Sorgfalt, Kreativität und einem hohen visuellen Anspruch geprägt ist, kann motivieren, inspirieren und Wertschätzung vermitteln. Im Hotel Castell in Zuoz ist Kunst nicht nur ausgestellt – sie ist ein fester Bestandteil des Gesamterlebnisses. Die Sammlung zeitgenössischer Werke ist lebendig, ortsbezogen und eng mit der Architektur und Atmosphäre des Hauses verbunden. Installationen wie Pipilotti Rists „Rote Bar“ oder Nicolas Partys direkt auf die Wände gemaltes Werk „Landscape“ verwandeln Räume in sinnliche Erfahrungswelten. Auch skulpturale Elemente, inspiriert von der umliegenden Landschaft, prägen Bereiche wie den Belvair-Speisesaal. Besonders ist im Castell auch die Entstehung der Arbeiten: Sie entstehen in enger Zusammenarbeit mit den Kunstschaffenden – der kreative Prozess wird Teil der Hotelidentität. Wöchentlich lädt das Haus zu einer geführten Kunsttour ein – eine Einladung, Kunst nicht nur zu betrachten, sondern in den Dialog zu treten.
Der Greif Studio x Max Brown Missori (Mailand)
“Kunst wird erlebbar, zugänglich und dialogisch. Für die Marke bedeutet das: nachhaltige Sichtbarkeit und Brand Awareness. Denn wer Begegnung ermöglicht, bleibt in Erinnerung.“
Brandcraft: Was empfiehlst du Hotels bei der Auswahl von Kunst und einzelnen Arbeiten? Muss Kunst immer kostspielig sein – oder kommt es vielmehr auf Relevanz, Überraschung und Identitätsstiftung an?
Simon Lovermann: Kunst muss nicht teuer sein, um Wirkung zu entfalten – sie muss gut kuratiert sein. Natürlich kann es in bestimmten Räumen oder für bestimmte Zielgruppen sinnvoll sein, mit etablierten oder bekannten Werken zu arbeiten, etwa um ein Statement zu setzen oder das Luxusversprechen visuell zu unterstreichen. Doch oft sind es gerade weniger bekannte Positionen, die überraschen, in Erinnerung bleiben und eine authentische Geschichte erzählen. Erfahrungen zeigen, dass die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden aus der Region besonders wirkungsvoll sein kann – nicht nur im Hinblick auf Identifikation und kulturelle Verankerung, sondern auch als Ausdruck von Haltung und Verbundenheit mit dem Ort. Die entscheidende Frage sollte also weniger lauten: „Wie viel kostet das Werk?“, sondern vielmehr: „Was erzählt es, warum ist es hier, und wie fügt es sich in das Narrativ des Hauses ein?“ Genau darin liegt der Unterschied zwischen bloßer Dekoration und einem durchdachten kuratorischen Konzept. Wer diesen Schritt geht, macht das Hotel zu einem Ort, an dem Kunst nicht nur die Wände schmückt, sondern aktiv zur Identität beiträgt und die Geschichte des Ortes weiterschreibt.
Der Greif Studio x Max Brown Missori (Mailand)
Brandcraft: Immer mehr Häuser veranstalten Artist Residencies, Ateliergespräche oder Ausstellungen – wo siehst Du das größte Potenzial solcher Formate für Markenbindung und Community-Building?
Simon Lovermann: Formate wie Artist Residencies, Ateliergespräche oder kuratierte Ausstellungen verwandeln ein Hotel in einen lebendigen Ort des Austauschs. Sie schaffen nicht nur Sichtbarkeit für künstlerische Positionen, sondern eröffnen Räume der Begegnung, in denen Besuchende, Mitarbeitende, Kunstschaffende und die lokale Gemeinschaft zusammenkommen. So entsteht eine emotionale Tiefe, die weit über die Gestaltung von Räumen hinausreicht. Kunst wird erlebbar, zugänglich und zum Ausgangspunkt für Dialog. Für die Marke bedeutet das: nachhaltige Sichtbarkeit und gesteigerte Markenpräsenz. Denn wer echte Begegnungen ermöglicht, bleibt in Erinnerung. Gleichzeitig entsteht Zugang zu einem neuen Publikum – weit über die klassische Gästestruktur hinaus. Es entwickelt sich eine kulturelle Plattform mit Potenzial für lokale wie internationale Strahlkraft. Solche Formate laden zur Teilhabe ein, fördern Identifikation und lassen Marken langfristig glaubwürdig wachsen – gemeinsam mit einer Gemeinschaft, die nicht nur konsumiert, sondern aktiv mitgestaltet.
Brandcraft: Fotografie ist ein flexibles Medium – anpassungsfähig in Bezug auf Umfang und Ausdrucksvielfalt. Was bedeutet das für Der Greif Studio, wenn mit einer globalen Community von Kunstschaffenden für Hotels gearbeitet wird?
Simon Lovermann: Fotografie eignet sich durch ihre inhaltliche wie formale Vielschichtigkeit besonders gut, um Räume individuell und atmosphärisch zu gestalten. Für Der Greif Studio bedeutet das, dass wir mit unserer internationalen Community junger Kunstschaffender sehr gezielt auf unterschiedliche räumliche Kontexte, kuratorische Konzepte oder Markenidentitäten eingehen können. Ob poetisch, dokumentarisch, konzeptuell oder abstrakt – wir verstehen Fotografie nicht als dekoratives Beiwerk, sondern als narratives und emotionales Medium. Die große Bandbreite erlaubt es uns, sowohl mit reduzierten Einzelbildern als auch mit raumgreifenden Serien oder temporären Installationen zu arbeiten – abhängig von räumlicher Situation und Zielsetzung. Gleichzeitig bietet Fotografie einen niedrigschwelligen Zugang: Sie spricht direkt an, erzählt Geschichten ohne sprachliche oder intellektuelle Barrieren und ermöglicht so auch Menschen, die selten mit Kunst in Berührung kommen, eine intuitive Verbindung zum Ort. Indem wir internationale Perspektiven in lokale Kontexte einweben – oder umgekehrt lokale Positionen global sichtbar machen – entsteht eine Form kultureller Verortung, die glaubwürdig, vielschichtig und nachhaltig Teil der Identität eines Hauses wird und diese aktiv mitprägt.
Der Greif Studio x Hotel Bayerischer Hof (München)